Donnerstag, 24. März, 2016

Der Einsatz von Botox löst die Spastik. Wem nützt es, wer profitiert?

In Deutschland erleidet alle zwei Minuten ein Mensch unter einen Schlaganfall. Es ist hierzulande die dritthäufigste Todesursache. Dank der Aufklärung, des technischen Fortschrittes und der guten medizinischen Versorgung werden viele Leben gerettet, doch der Preis für das Überleben kann hoch sein.

Das Leben nach einem Schlaganfall

Überlebende leiden häufig unter körperlichen Einschränkungen und haben dadurch nicht selten die eingeschränkte Fähigkeit verloren ihren Alltag selbst zu bewältigen. Sie können unter Umständen ihren betroffenen Arm nicht benutzen, um sich zu waschen oder sich anzukleiden. Gehen ist oftmals gar nicht möglich oder nur mit erheblicher Sturzgefahr verbunden. Auch das Sprechen oder die Nahrungsaufnahme können beeinträchtigt sein. Neben diesen Einschränkungen der Alltagsaktivitäten kommt es häufig zu gravierenden Veränderungen der Körperfunktionen und Körperstrukturen. Muskeln werden steif und Gelenke unbeweglich was letztendlich zu erheblichen Schmerzen führen kann. Verständlich, dass man in dieser Situation den jedes Mittel willkommen heißt, dass er diese Symptome lindern kann.

Was ist „Spastik“?

Nach einem Schlaganfall kommt es zu unterschiedlichen Symptomen, eines von vielen kann nicht nur die der Spastizität sein. Muskelkraft und –koordination, sowie Anpassungsvorgänge im Muskel, die zu Verkürzungen führen, finden statt. Gefühls- und Wahrnehmungsstörungen sind auch häufig vorhanden. Man weiß nicht mehr genau, wo der Fuß oder der Arm sich befinden. Auch Störungen des Gleichgewichtssinns und des Sehens können die Sturzgefahr erheblich steigern. Unwillkürliche Begleitbewegungen, z.B. ein steifer Arm beim Gehen, helfen das Gleichgewicht zu erhalten oder verstärken die sensorische Rückmeldung zum Gehirn, „wo“ man sich im Raum befindet. Diese unwillkürlichen Bewegungen oder Körperspannungen sind selten Ausdruck einer Übererregbarkeit (Hyperreflexie, Hypertonus) des zentralen Nervensystems (O´Dwyer 1996). In den meisten Fällen sind sie Ausdruck von sinnvollen Anpassungsvorgängen, um größtmögliche Stabilität zu gewährleisten. Aus diesem Grund spricht man heute von der „spastischen Parese (Lähmung)“ (Dietz 2013).

Wie wirkt Botox?

Das Ziel der Botoxtherapie ist es die Muskeleigenreflexe zu hemmen. Hierfür muss zuerst objektiv festgestellt werden, ob diese tatsächlich erhöht sind. Dies kann nur im EMG (Elektromyogramm) objektiv gemessen werden. Auch wenn eine Übererregbarkeit festgestellt wird ist es wichtig zu analysieren, ob die Hemmung dieser Übererregbarkeit zu einer Verbesserung der Alltagsaktivitäten führt. In einer neueren Studie zur Zulassung des Medikaments hat man festgestellt, dass die Botoxtherapie zu einer Abnahme des Muskeltonus (Muskelspannung) führt, jedoch zu keiner Verbesserung der Gehfähigkeit (Kaji et al. 2010)! Etwas kritisch muss man anmerken, dass in dieser Studie – die aufgrund der hohen Probandenzahl (120 Personen) zunächst sehr beeindruckend scheint – der Muskeltonus mit der Modified Ashworth Skala (MAS) gemessen wurde. Diese gilt in Fachkreisen längst als ungeeignet zur Beurteilung des Muskeltonus (IGPTNR 2004).

Wann ist Botox indiziert?

Für schwerer betroffene, immobile und bettlägerige Patienten entwickeln sich durch die Spastizität oft unangenehme Kontrakturen (irreversible Muskelverkürzungen mit einhergehenden Gelenkfehlstellungen). Hier kann Botox in Verbindung mit Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie und geeigneten Hilfsmittel nützlich sein, um den Patienten entspannte Körperpositionen zu ermöglichen und seine tägliche Körperpflege zu ermöglichen.

Wann ist Botox nicht indiziert?

Mobile Personen hingegen können die zunehmende Muskelspannung durchaus positiv nutzen, da Arme oder Beine stabilisiert werden: Dem Betroffenen wird oftmals wieder ermöglicht, einige Alltagsaktivitäten selbständig zu bewältigen. Unangenehm hierbei bleibt die Steifigkeit und die eventuell hiermit verbundenen Schmerzen, für die verständlicherweise Linderung gesucht wird.

Wieso Kräftigung anstatt Hemmung zur Linderung der Spastizität?

Da die Lähmungen das größte Problem im Alltag von Schlaganfallpatienten darstellen, ist es naheliegend, dass die gelähmten Muskeln gekräftigt werden müssen. Mittlerweile ist erwiesen, dass aktive Bewegungen Muskelspannungen regulieren (Dietz 2013). Für Menschen, die Gehen möchten und können – wenn auch beschwerlich – ist aus diesem Grunde Aktivität wichtig! Steife Muskeln müssen aktiv gedehnt werden, wofür die Betroffenen die Unterstützung eines geschulten Therapeuten sowie oft zusätzlich individuell angefertigte Hilfsmittel brauchen. Zudem müssen die schwachen Muskeln gezielt gekräftigt werden. Da das Gehirn keine isolierten Bewegungen kennt, müssen diese in „Aufgaben“ eingebunden werden, die alltagsrelevant, d.h. handlungsorientiert sind. Schwache Beinmuskulatur kann man am besten durch Treppensteigen oder Aufstehen und Hinsetzen trainieren, schwache Armmuskulatur durch das Üben von Anziehen oder Waschen. Hierbei bedarf es die fachkundige Unterstützung der Therapeuten, die sich mit der funktionellen Anatomie und Biomechanik auskennen. Nur so können Sekundärschäden, die durch Gelenkfehlbelastungen entstehen, vermieden werden. Zugegebenermaßen ist dieser Weg anstrengender als die Muskulatur medikamentös zu hemmen und passiv durchbewegt zu bekommen. Nur die Folge des Letzteren ist zunehmende Schwäche, einhergehend mit wiederum zunehmender Steifigkeit und Schmerzen.

Fazit: Der Wunsch aktiv am Leben teilzunehmen erfordert Aktivität!

Ist es das Ziel des Betroffenen aktiv am Leben teilzunehmen, muss er die Möglichkeit erhalten aktiv zu sein. Das Therapieziel muss gemeinsam mit dem Betroffenen, seinen Angehörigen, dem Pflegepersonals, den behandelnden Ärzte und Therapeuten erfolgen.